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Jungenarbeit

Akzeptierende Jungenarbeit

von Lutz Pickardt

  • Selbstbezug
  • Hintergründe: Jungensozialisation und Jungenarbeit
  • Warum Jungenarbeit häufig nicht „funktioniert“
  • Ansätze einer akzeptierenden Jungenarbeit

Mein Bezug zur Jungenarbeit gründet sich in erster Linie auf der eigenen, intensiven Auseinandersetzung mit dem Mann-Werden und Mann-Sein wie auch dem Interesse an der sich im Umbruch befindlichen Entwicklung der Männer und Männlichkeit in unserer Gesellschaft. Gerade in dieser Zeit halte ich es für notwendig, daß v.a. Dingen Männer sich wieder mehr verantwortlich zeigen für das Wohl und die Entwicklung der Jungen, die in unserer „vaterlosen Gesellschaft“ – ohne männliche Erziehungspersonen zu Hause, im Kindergarten, in der Grundschule – nur wenige Möglichkeiten besitzen, sich ganz real mit Männern zu identifizieren und somit zu einem positiven, männlichen Selbstbild zu gelangen.

1994/95 wirkte ich an einer großangelegten Befragung (mittels Fragebögen) von Jungen in der Schule mit, die vom Institut für Schulentwicklungsforschung der Uni Dortmund getragen wurde. Bei den 1760 männlichen Schülern aus Dortmund im Alter von 13-17 Jahren interessierten uns v.a. Dingen ihre Beziehungen zu Gefühlen und Körperlichkeit, ihr Verhältnis zu den Eltern, Freunden, Freundinnen, was sie unter Freundschaft verstehen, welches Bild sie von sich selbst, den Mädchen, welche Vorbilder sie haben u.s.w.

Hieraus ergaben sich mir weitere Einblicke in die Welt der Jungen unabhängig von meiner eigenen Geschichte. Auf der Suche nach einem eigenen Ansatz studierte ich mir wichtig erscheinende Literatur zur männlichen Sozialisation und befaßte mich mit unterschiedlichen Zugängen zur Jungenarbeit.

Warum eigentlich Jungenarbeit? – Hintergründe…

Ein zentraler Aspekt in der kritischen Männerforschung sowie in der emanzipatorischen Jungenarbeit ist die Erkenntnis, daß Jungen und Männern ihr Körper und ihr Selbst verwehrt wird. Ihre Körper sollen ihnen nur „als Instrument der Machthabe, der Eroberung und des Kampfes zur Verfügung stehen, nicht jedoch als schmerzempfindlicher, sensibler und vor allem lustvoller Bereich.“ (M.ichael Schenk).

Aufgrund der Abwesenheit von Vätern und männlichen Vorbildern in ihrer Kindheit und Pubertät können sie ihre männliche Geschlechtsidentität nicht direkt – durch Nachahmung und Idealisierung des Vaters – sondern nur indirekt herausbilden. Dieses „Dilemma“ läßt sich für die Jungen nur über die doppelte Negation lösen: „Ich bin nicht so wie meine Mutter, die ein ‘Nicht-Mann’ ist. Also werde ich ein ‘Nicht-Nicht-Mann’ „.

Mit der Abwertung von Mädchen und Frauen müssen auch ‘weibliche’ Eigenschafen wie Fürsorge, Kooperationsvermögen, Einfühlungsvermögen etc. unterdrückt und abgewertet werden. Als ‘männlich’ gilt der, der nichts fühlt und auch keine Gefühle zeigt, größte Schmerzen aushält, ohne mit der Wimper zu zucken u.s.w.

Doch diese Entwicklung ist ambivalent: frühkindliche Bedürfnisse nach Zärtlichkeit, Verschmelzung, Hingabe etc. sind nach wie vor vorhanden, dürfen aber nicht mehr gelebt werden. Die aufkommenden Gefühle müssen immer wieder unterdrückt oder in sublimierter Form ausagiert werden.Den Jungen und Mann treibt es zur Externalisierung, er strebt nach kulturellen Taten, beruflicher Erfolg und Karriere treten in den Mittelpunkt seines Interesses. Hier kann er nun beweisen, daß er ein richtiger Mann ist: ‘ich bin was ich leiste’.

Die Folge dieser Entwicklung ist schlimmstenfalls ein in ein Rollenkorsett eingezwängter, unlebendiger und unausgefüllter Mann ohne Bewußtsein seiner Selbst. In der Tiefe seiner Seele ist er hilflos, darf das aber nicht fühlen. Er ist jetzt ‘Träger einer Rolle, die ihn privilegiert erscheinen läßt, jedoch unter Preisgabe all dessen, was ihn privilegieren würde.’ (Michael Schenk).

Warum Jungenarbeit häufig nicht „funktioniert“

Viele Ansätze zur Jungenarbeit, seien es der feministische, der antisexistische oder der antichauvinischte, sind defizitorientiert. Das Verhalten der Jungen ist unerwünscht und wird als destruktiv bewertet. Also setzt man auf „Umerziehungsprogramme“, die Verhaltensänderungen herbeiführen sollen. Ein mühsames Unterfangen setzt ein, welches die Wünsche des Pädagogen in den Vordergrund stellt und an den Bedürfnissen der Jungen vorbeigeht. Später beklagen sich die selben Pädagogen darüber, wie schwer die Arbeit mit Jungen doch ist. Das Problem ist die negative Einstellung, mit der sie den Jungen gegenübertreten. Wenn man die Jungen nicht so akzeptiert, wie sie sind, werden sie dies bemerken und die Mitarbeit verweigern.

Ansätze einer akzeptierenden Jungenarbeit

Akzeptanz sollte an erster Stelle stehen. Um sich in Jungen einfühlen zu können, ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie und der eigenen Männlichkeit unerläßlich. Jungen brauchen Männer, die sich für sie interessieren, die ihnen zuhören. Männer, die ihnen ihr – viellleicht ‘anderes’ – Mann-Sein vorleben, an denen sie sich reiben und mit denen sie streiten können.

Warum sind die Jungen so wie sie sind, welche Bedeutung hat ihr Verhalten? Was wollen sie wirklich, was ist ihr Potential, was sind ihre tiefer liegenden Bedürfnisse und Sehnsüchte? Und was behindert sie, ihre Wünsche in die Tat umzusetzen? Durch ihre Sozialisation sind die meisten Jungen in ihren Möglichkeiten beschnitten. Die andere, nicht gelebte Seite, die sogenannten ‘weiblichen’ Anteile und Eigenschaften sind aber nicht originär weiblich, sondern androgyn und grundsätzlich beiden Geschlechtern zugänglich. Sie müssen nicht antrainiert werden, sondern sind als Potential bereits vorhanden und können freigelegt werden. Hierdurch eröffnen sich neue Möglichkeiten zum Fühlen, Handeln, in der Welt zu sein.

Dabei können zahlreiche Medien eingesetzt werden wie Rollenspiele, Collagen, Video, Malen etc., um geschlechtstypisches Rollenverhalten, Jungenbilder und Vorbilder, Männer und Hausarbeit, Väter und Söhne, Liebe, Beziehung und Sexualität etc. lustvoll zu thematisieren.

Trotzdem halte ich neben der direkten, themenbezogenen und reflektierenden Arbeit in gleicher Weise auch körper- und spielbetonte Ansätze für sinnvoll, die das Jungen- und Männerthema nicht immer unbedingt explizit, aber implizit zum Thema haben. Schließlich erreicht man mit einer stark auf intellektuelles Verständnis gerichteten Arbeit nicht den ganzen Menschen, der ja bekanntlich auch durch unbewußte Bilder, Motive und Antriebe bestimmt wird.

Traumreisen und Entspannungsverfahren, freies Assoziieren, entwickeln von Phantasie, spielen, kooperieren statt konkurrieren, Räume wahrnehmen statt erobern, sanfter und achtsamer Körperkontakt, fürsorglicher Umgang miteinander, das Erleben von Solidarität, Gruppenemphatie und Verantwortungsgefühl füreinander können Elemente einer solchen Arbeit sein. Einfühlung in Mädchen, deren Welt und Geschlechterrolle, Einblicke gewinnen in männliche wie weibliche Lebensbereiche. Aggressionen werden nicht unterdrückt, sondern in ihrer doppelten Eigenschaft wahrgenommen: einerseits als zerstörende Kraft, andererseits als Lebensenergie, die sinn- und lustvoll genutzt werden kann. Die intrinsische Motivation der Jungen ist der Motor einer solchen Arbeit und sollte niemals außer acht gelassen werden: was könnte ihnen Spaß machen? wie kann ich ihr Interesse wecken? wie kann ich sie herausfordern?

Ziel einer solchen Arbeit ist es, den Jungen neue Möglichkeitsräume zu eröffnen – und sie bei der Bildung einer kraftvollen, männlich/menschlichen Identität zu unterstützen, welche weder auf der ausschließlichen Betonung kultureller Leistungen noch auf der Abwertung von Mädchen und Frauen basiert, sondern sich direkt aus dem „Selbst“ herleitet und – bisher – als weiblich betrachtete Persönlichkeitsanteile integriert.

5 thoughts on “Jungenarbeit”

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